Digitale Barrierefreiheit: Der Plan zur Umsetzung 

Der Finger einer Hand dreht Holzwürfel mit Buchstaben, die das Wort „IMPOSSIBLE“ (unmöglich) bilden, zu „ACCESSIBLE“ (zugänglich).
Beitrag von Timo Tauchnitz, Specialist UX & Inclusive Design | Dienstag, 10. Juni 2025

Warum digitale Barrierefreiheit wichtig ist 

Digitale Barrierefreiheit sorgt dafür, dass Menschen mit Behinderungen digitale Produkte wie Websites oder Apps verstehen, wahrnehmen, steuern und mit ihnen interagieren können.  

Das betrifft nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern auch: 

 

  • Ältere Menschen mit nachlassender Sehkraft oder eingeschränkter Motorik. 

  • Menschen mit temporären Einschränkungen, z. B. durch eine Verletzung. 

  • Nutzer*innen in schwierigen Nutzungssituationen, z. B. in heller Umgebung oder mit schlechter Internetverbindung. 

Eine Illustration, die drei Personen mit verschiedenen motorischen Einschränkungen zeigt.

Eine barrierefreie Gestaltung bedeutet also nicht nur soziale Verantwortung, sondern auch bessere Benutzerfreundlichkeit und wirtschaftliche Vorteile. Unternehmen profitieren durch eine größere Zielgruppe, bessere Suchmaschinenrankings und geringere Supportanfragen. Zudem kann eine barrierefreie Website die Conversion-Rate steigern, da sich mehr Menschen problemlos durch das Angebot navigieren können. Unternehmen zeigen mit Barrierefreiheit Innovationskraft und positionieren sich als verantwortungsbewusste Marktteilnehmer. 

Was das BFSG für Unternehmen bedeutet 

Um Barrierefreiheit erfolgreich umzusetzen, sollten Unternehmen sich zunächst mit den rechtlichen Rahmenbedingungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes vertraut machen. Dazu gehören folgende zentrale Aspekte: 

 

  • Nur B2C-Unternehmen betroffen: Das BFSG gilt ausschließlich für Unternehmen, die digitale Dienstleistungen oder Produkte an Verbraucher (B2C) verkaufen. Geschäftskundenbeziehungen (B2B) fallen noch nicht unter das Gesetz. 

  • Ausnahme für Kleinstunternehmen: Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitenden und unter 2 Millionen Euro Jahresumsatz sind vom Gesetz ausgenommen. Wird eine dieser Grenzen überschritten, gilt die Barrierefreiheitsverpflichtung. 

  • Fokus auf Kaufprozesse: Das BFSG betrifft nur Webseiten mit Kauf- oder Vertragsabschlussmöglichkeiten. Dazu zählen Online-Shops, Buchungsplattformen und Vertragsabschlüsse durch digitale Formulare. Auch wenn Nutzer*innen persönliche Daten gegen Inhalte tauschen (z. B. bei einer Newsletter-Anmeldung), kann dies als Vertragsanbahnung gewertet werden. 

  • Nur Vertriebswege relevant: Unternehmen müssen nicht die gesamte Webseite barrierefrei gestalten, sondern lediglich den Teil, der für den Vertragsabschluss erforderlich ist. Reine Informationsseiten oder Karriereseiten sind in der Regel nicht betroffen. 

  • Haftung für Drittanbieter-Tools: Bei der Nutzung externer Tools bleibt unklar, wer die Verantwortung für Barrierefreiheit trägt. Unternehmen sollten sicherstellen, dass eingesetzte Drittanbieter-Tools den gesetzlichen Anforderungen entsprechen oder deren Barrierefreiheit vertraglich zusichern lassen. 

Unternehmen, die nicht handeln, riskieren Abmahnungen, Klagen und Wettbewerbsnachteile. Gleichzeitig bietet die frühzeitige Umsetzung der Barrierefreiheit die Möglichkeit, sich positiv von der Konkurrenz abzuheben und ein breiteres Kundensegment zu erschließen.

Welche Regeln müssen beachtet werden?

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verweist auf die europäische Norm EN 301 549, die in Kapitel 9 die Erfolgskriterien der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) in den Stufen A und AA übernimmt. Diese Norm definiert detaillierte Anforderungen an die Barrierefreiheit von digitalen Produkten und -Dienstleistungen. Sie deckt jedoch nicht nur Webseiten und Software ab, sondern auch Hardware, was sie in 13 Kapitel unterteilt. 

 

Für digitale Produkte ist vor allem Kapitel 9 der Norm relevant, da es sich vollständig auf die WCAG bezieht. Zusätzlich gibt es einzelne Kriterien aus anderen Kapiteln, die Anwendung finden können, wie beispielsweise das Kapitel 11.7 Benutzerdefinierte Einstellungen. Dies besagt, dass Webseiten und digitale Anwendungen auf Nutzerpräferenzen reagieren müssen. Beispielsweise sollte sich eine Webseite automatisch anpassen, wenn Nutzende größere Schriftgrößen im Browser eingestellt haben. Dies gelingt in der Regel durch die Verwendung relativer Einheiten wie em oder rem statt fester Pixelwerte (px). 

 

Die meisten weiteren Kapitel der EN 301 549 sind für klassische Webseiten und Onlineshops nicht relevant. Unternehmen sollten sich dennoch mit den Anforderungen vertraut machen, insbesondere wenn sie digitale Dienste mit speziellen Funktionen anbieten. Eine detaillierte Übersicht der Prüfkriterien findet sich im BIK-BITV-Test, einer anerkannten Bewertungsmethode für digitale Barrierefreiheit. 

Typische Barrieren und ihre Lösungen 

Viele Websites und Apps enthalten Barrieren, die mit wenig Aufwand vermieden werden können: 

Schlechter Kontrast

– Texte sind kaum lesbar.

Lösung: Farbkontraste anpassen (mind. 4,5:1 für normalen Text).


Fehlende Alternativtexte

– Screenreader-Nutzer*innen erhalten keine Bildinformationen.

Lösung: Aussagekräftige Alt-Texte für Bilder bereitstellen.


Nicht bedienbare Navigation

– Nutzer*innen können nicht per Tastatur navigieren.

Lösung: Alle interaktiven Elemente mit der Tab-Taste erreichbar machen.


Unstrukturierte Inhalte

– Screenreader können Inhalte nicht sinnvoll erfassen.

Lösung: Semantische HTML-Struktur mit Überschriften und ARIA-Tags nutzen.


Diese Maßnahmen verbessern nicht nur die Barrierefreiheit, sondern auch die allgemeine Nutzungsfreundlichkeit und Verständlichkeit. Eine bessere Usability führt nachweislich zu einer höheren Kundenzufriedenheit und erhöhten Interaktionsraten. 

Barrierefreiheit testen 

Barrierefreiheit kann nur verbessert werden, wenn sie regelmäßig getestet wird. Viele grundlegende Tests lassen sich mit einfachen Methoden selbst durchführen. Doch für eine umfassende Bewertung empfiehlt es sich, ein professionelles Accessibility-Audit erstellen zu lassen, um alle Barrieren systematisch zu erfassen und gezielt zu beheben.

Schnelle Selbsttests für Unternehmen 

Automatisierte Tools bieten eine schnelle Möglichkeit, häufige Barrierefreiheitsprobleme zu erkennen. Hier einige der besten Tools:

  • axe DevTools: Zeigt detaillierte Fehlerberichte mit Lösungsvorschlägen.

  • WAVE Web Accessibility Tool: Erkennt Kontrastprobleme, fehlende Alternativtexte und fehlerhafte Strukturen.

Automatisierte Tests decken nicht alle Barrieren ab. Deshalb sind manuelle Tests essenziell. 

Hier sind einige praktische Methoden, mit denen du sofort erste Barrierefreiheitsprobleme erkennen kannst:

  • Alt-Text prüfen: Deaktiviere Bilder oder nutze einen Screenreader, um zu überprüfen, ob Alternativtexte die Bildinhalte sinnvoll beschreiben. Fehlende oder unklare Alt-Texte sind ein häufiges Problem.

  • Tastatur-Navigation testen: Versuche, die gesamte Seite ausschließlich mit der Tab-Taste zu bedienen. Alle interaktiven Elemente sollten erreichbar sein, eine logische Reihenfolge haben und deutlich erkennbar fokussiert werden.

  • Kontraste überprüfen: Nutze Tools wie das WAVE Evaluation Tool oder den Contrast Checker, um sicherzustellen, dass Texte einen ausreichenden Farbkontrast haben.

  • Formulare und Labels testen: Alle Eingabefelder müssen korrekt beschriftet sein und sollten mit der Tastatur sowie Screenreadern nutzbar sein. Fehlende Labels erschweren vielen Nutzenden das Ausfüllen.

  • Links analysieren: Überprüfe, ob alle Links sinnvolle Beschreibungen enthalten – „Hier klicken“ ist nicht ausreichend. Nutzende sollten bereits aus dem Linktext den Zweck erkennen können.

  • Skip-Links prüfen: Eine „Zum Inhalt springen“-Funktion hilft Nutzenden, schnell zur Hauptnavigation oder zum Hauptinhalt zu gelangen, ohne sich durch lange Menüs klicken zu müssen.

  • Untertitel für Videos prüfen: Teste, ob alle eingebetteten Videos über Untertitel verfügen, damit sie auch ohne Ton verständlich sind. 

Diese Tests helfen dabei, erste Probleme zu erkennen und Barrierefreiheit kontinuierlich zu verbessern.

Warum ein professionelles Audit sinnvoll ist

Auch wenn Unternehmen mit diesen Methoden erste Barrieren identifizieren können, reicht dies oft nicht aus, um eine wirklich barrierefreie Nutzendenerfahrung sicherzustellen. Ein professionelles Accessibility-Audit hilft dabei: 

  • Verborgene Barrieren zu identifizieren, die durch einfache Tests nicht sichtbar werden.

  • Detaillierte technische Analysen durchzuführen, z. B. für komplexe Interaktionen oder dynamische Inhalte.

  • Maßgeschneiderte Lösungsvorschläge zu erhalten, die sich konkret umsetzen lassen.

Mit einem strukturierten Audit kann der aktuelle Status der Barrierefreiheit genau erfasst werden – und Unternehmen wissen, wo sie ansetzen müssen, um ihre digitalen Produkte wirklich inklusiv zu gestalten. 

Menschen mit Behinderung in die Tests einbinden 

Wenn die Probleme aus dem Audit behoben wurden, sollte es einen weiteren Test mit Menschen mit Behinderung geben, damit wirklich sichergestellt ist, dass das digitale Produkt auch von den Menschen bedient werden kann, die es in erster Linie betrifft. Nur so kann ein inklusives Design erreicht werden.

Nachhaltige Barrierefreiheit 

Accessibility ist wie Jonglieren – es klappt nur, wenn man die Bälle immer in Bewegung hält.

Ein Bild, das Timo Tauchnitz, Specialist UX & Inclusive Design bei UDG, zeigt.

Barrierefreiheit lässt sich nur dann nachhaltig verbessern, wenn sie von Anfang an berücksichtigt, kontinuierlich getestet und allen Mitarbeitenden klar kommuniziert wird, was zu tun ist. Aus diesem Grund halte ich es für unerlässlich, dass Teams entsprechend geschult werden, damit jedes Gewerk – sei es Design, Entwicklung oder Content – weiß, worauf es zu achten hat und welche Aspekte dokumentiert werden müssen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist meiner Ansicht nach, dass es im Unternehmen eine Person gibt, die für das Thema brennt, es vorantreibt und die Verantwortung dafür übernimmt.

Wie wir helfen können

Durch verschiedene Services helfen Unternehmen dabei, Barrieren zu identifizieren und konkrete Verbesserungen umzusetzen: 

  • Detailliertes Audit nach der EN 301 549 und der WCAG-Richtlinie, mit klaren Handlungsempfehlungen (mit Beispielen und Best Practices). 

  • Beratung & Schulung für eine nachhaltige Umsetzung. 

  • Unterstützung bei der Optimierung – von kleinen Anpassungen bis zur kompletten barrierefreien Neugestaltung. 

 

Barrierefreiheit ist eine Chance – für bessere User Experience, größere Reichweite und rechtliche Sicherheit. Unternehmen, die frühzeitig handeln, vermeiden Probleme und profitieren von einer besseren digitalen Präsenz. Gleichzeitig steigern sie ihre Wettbewerbsfähigkeit und optimieren ihre Conversion-Rate. 

 

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